Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Der 9;3 jährige Paul erscheint gemeinsam mit seiner Mutter zum ambulanten Vorstellungstermin.
Die Mutter berichtet, dass Paul mehrmals wöchentlich mit anderen Kindern in Konflikte gerate, in denen er sich dann verbal und häufig auch körperlich aggressiv verhalte, beispielsweise indem er andere trete oder schlage. Im letzten halben Jahr habe er andere Kinder auch regelmäßig mit Gegenständen, z.B. Steinen beworfen, weshalb er mehrmals von der Schule habe abgeholt werden müssen.
Es falle ihm schwerer als Gleichaltrigen, soziale Situationen angemessen zu verstehen und so fühle er sich schnell provoziert und angegriffen. Auch nach Beendung einer Streitsituation sei er nicht in der Lage, diese altersadäquat zu reflektieren und schiebe die Schuld für eigene Fehler auf andere.
Er zeige insgesamt eine hohe Impulsivität und bekomme häufig Wutausbrüche, weshalb ihn andere Kinder meiden würden. Er habe keine Freunde, mit denen er sich nachmittags oder am Wochenende verabreden könne. Es falle ihm schwer, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften aufzubauen.
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Registrieren und freischaltenLebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten und Störungsanamnese
Die Mutter berichtet, mit dem Vater von Paul bereits zum Zeitpunkt von dessen Geburt verheiratet gewesen zu sein. Es bestehe gemeinsames Sorgerecht. Die Familie lebe schon immer in einem „sozialen Brennpunkt“. Die 36-jährige Mutter arbeitet als gelernte Fleischereifachverkäuferin in Teilzeit. Sie beschreibt sich selbst als impulsiv und schnell reizbar. In der Erziehung bemühe sie sich um Konsequenz, sie wisse jedoch auch oft nicht, wie sie in Konfrontationen mit Paul handeln solle und lasse ihn auch häufiger gewähren. Ihre Beziehung zu Paul sei aufgrund der Vielzahl an Konflikten belastet. Es gebe kaum mehr angenehme Situationen. Der 41-jährige Vater arbeitet als KFZ Schlosser in Vollzeit. Aufgrund seiner beruflichen Eingebundenheit habe er insgesamt weniger Erziehungsfunktionen als die Mutter inne. Gegenüber Paul würde er sich oft sehr dominant verhalten und ihn in Streitsituationen häufig laut anschreien.
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Registrieren und freischaltenPsychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragstellung
Paul zeigt sich im Gespräch wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Keine Hinweise auf Entwicklungsstörungen. Keine Hinweise auf Bewusstseinsstörungen oder Störungen der mnestischen Funktionen. Keine Hinweise auf Zwänge oder Angststörungen. Affektiv schwingungsfähig bei leicht gedrückter Stimmungslage. Keine Hinweise auf erhöhte oder verminderte motorische Aktivität. Deutlich erhöhte Impulsivität. In der Familie, in der Schule und bei Gleichaltrigen ausgeprägte aggressive und oppositionelle Verhaltensweisen.
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Registrieren und freischaltenVerhaltensanalyse
Makroanalytisch betrachtet, scheint Paul schon früh ein ausgeprägt impulsives Temperament gezeigt zu haben. Die impulsiven Verhaltensauffälligkeiten der Eltern und des Bruders können als Hinweis auf eine genetische Disposition für externalisierende Störungen interpretiert werden, aber auch auf Modelllernprozesse in der Entwicklung hinweisen. Die Mutter, der körperlich aggressive ältere Halbruder und der dominante Vater stellten für Paul vermutlich auch verstärkende Verhaltensmodelle dar. Im Gleichaltrigenbereich haben sich die impulsiven und aggressiven Verhaltenstendenzen schnell ungünstig ausgewirkt, da Paul durch sein impulsives Verhalten vermehrt Ablehnung anderer Kinder erfuhr. Mangelnde Konfliktlösungsstrategien versuchte er mit aggressiven Verhaltensweisen auszugleichen, was ihm gegenüber anderen Kindern häufig gelang (positive oder negative Verstärkung). Durch provozierendes Verhalten erhält Paul in der Regel verstärkte Aufmerksamkeit seitens Erwachsener, wie Lehrern oder seiner Mutter, welche er tendenziell als belohnend empfindet.
Aufgrund der beruflichen Eingebundenheit beider Eltern und der Häufigkeit familiärer Konflikte sind deren Möglichkeiten für ein angemessenes Kontingenzmanagement nur unzureichend gegeben.
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Registrieren und freischaltenDiagnose zum Zeitpunkt der Antragstellung
- Achse I:
- nach ICD-10: Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem aufsässigem Verhalten (F91.3G),
- nach ICD-11: Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem und aufsässigem Verhalten, mit chronischer Reizbarkeit und Ärger und mit typischer prosozialer Emotionalität (6C90.01G)
- Achse II: keine umschriebene Entwicklungsstörung
- Achse III: durchschnittliche Intelligenz
- Achse IV: keine
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Registrieren und freischaltenTherapieziele und Prognose
Patientenzentrierte Therapieziele:
- Verminderung aggressiver Konflikte im Gleichaltrigenbereich, d.h. Abbau von verbaler und körperlicher Aggression
- Abbau oppositioneller Verhaltensanteile gegenüber Erwachsenen
- Abbau von externaler Attribuierung bei Konflikten
- Verbesserung der Impulskontrolle und Erweiterung der Frustrationstoleranz (z.B. gegenüber Provokationen)
- Aufbau sozialer Kompetenzen, d.h. Betreuern und Gleichaltrigen gegenüber angemessen auftreten und Konflikte adäquat lösen
- Aufbau von adäquaten Gleichaltrigenbeziehungen
Elternzentriete Therapieziele:
- Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung
- Verbesserung der Erziehungskompetenz der Eltern; Entwicklung von Regeln und wirkungsvollen Aufforderungen, effektiver und sinnvoller Umgang mit Verstärkern (Kontingenzmanagement)
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Registrieren und freischaltenTherapieverlauf
Die Behandlung wurde nach dem Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) konzeptioniert. Kindzentrierte Interventionen bildeten den Kern der Behandlung. Kognitive und behaviorale Interventionsmethoden kamen in einzelnen Behandlungsbausteinen zum Einsatz. Die Schwerpunkte lagen auf der Modifikation sozialer Kognitionen, der Modifikation der Emotionsverarbeitung, einem sozialen Problemlöse- und Verhaltenstraining sowie auf der Modifikation sozialer Interaktionen. Die Behandlung umfasste insgesamt 36 Sitzungen. Davon wurden Sitzungen mit dem Patienten, Sitzungen gemeinsam mit dem Patienten und der Mutter, Sitzungen gemeinsam mit dem Patienten und dem Vater, Sitzungen mit der Mutter und Sitzungen mit beiden Elternteilen durchgeführt. Mit der Klassenlehrerin bestand ausschließlich telefonischer Kontakt. Nach einer ausführlichen Exploration wurde die Lehrerin regelmäßig über die mit Paul durchgeführten Interventionen in Kenntnis gesetzt und angeregt, ihn mittels verschiedener Materialien wie Beobachtungsbogen und Signalkarten bei der Bewältigung seiner Therapieaufgaben zu unterstützen.
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